Die Schunckes 

"eine in der Musikwelt merkwürdige Familie" 
vom Barock bis in die Gegenwart

Diese Feststellung aus dem Jahre 1840 findet sich in August Gathys bekanntem Musiklexikon, und im gleichen Jahre vermerkt die "Encyclopädie der Musikwissenschaften" von Gustav Schilling: "Die Familie Schuncke ist wohl in jeder Beziehung eine der größten und merkwürdigsten Virtuosenfamilien der Welt; namentlich zählt sie einige Hornisten zu ihren Mitgliedern, die nun das ganze Jahrhundert hindurch allgemein zu den ersten Künstlern auf ihrem Instrumente gerechnet wurden, und in der Tat auch einen wahrhaft europäischen Ruf haben." Wohl nur die "Bachs" mit ihren ca. 53 Musikern waren noch zahlreicher in Kontinentaleuropa vertreten.

Beide Familien stammen aus dem damaligen Thüringen. Der Name "Schuncke" lässt sich dort bis ins 16. Jahrhundert nachweisen. Die erste Musikergeneration kommt im 18. Jahrhundert aus dem nördlichsten Teil, aus Merseburg, die zweite aus dem unweit gelegenen Schkortleben bei Weißenfels. Bald zogen ihre Angehörigen als Hofmusiker an viele europäische Höfe und später auch als freischaffende Virtuosen, Lehrer und Komponisten in europäische Hauptstädte wie London, Paris, Berlin, Stockholm, Wien und in kleinere deutsche Residenzen. Durch weite Konzertreisen machten sie den Namen Schuncke bekannt. Auf vier aktive Generationen folgte eine " Generalpause" von nur einer Generation, ehe die Musik im gegenwärtigen Zeitraum wieder ihre entscheidende Rolle spielt.


Der "musikalische Stammvater", 
Johann Gottfried I (1742-1807) aus Merseburg, 
war in Schkortleben bei Weißenfels/Saale "Bäcker und Musikus" und hatte sich als Meister auf dem Waldhorn bis nach Halle einen Namen gemacht. Gern soll er auch zum Tanze aufgespielt und Rundgesänge, sogenannte "Quodlibets", instrumental und vokal angestimmt haben. Seine sieben Söhne, die alle schon früh das Waldhorn bliesen, erlernten wie die Vorfahren zunächst das Bäckerhandwerk, bevor fünf von ihnen das Hornspiel für eine in jener Zeit aufsehenerregenden Weise vervollkommneten. Sie waren ausnahmslos Hofmusiker:

1. Johann Gottfried II (1777-1861) und 
2. Johann Michael I (1778-1821) 
wirkten vor allem in Kassel und Stuttgart. Beide Brüder, auf vielen europäischen Konzertreisen bis nach England gemeinsam gefeiert, galten als die "größten Hornisten ihrer Zeit" (Gathy). "Besonders jedoch war es das Duettspiel, wodurch dieselben ein fast beispielloses Aufsehn erregten" (Schilling).

3. Johann Andreas (1780-1849) spielte die längste Zeit im Berliner Hoforchester und war ebenfalls ein gefeierter Solist dort und auf seinen Konzertreisen.

4. Johann Christoph (1791-1856) war in Karlsruhe als großherzoglicher Kammermusiker tätig und reiste auch häufig zu eigenen Konzertaufführungen. Von ihm hat sich ein noch ungedrucktes Concertino für Horn und Orchester in f-moll (1832) erhalten.

5. Johann Gotthilf (1797- nach 1840) spielte, zusammen mit Franz Berwald, im kgl. Hoforchester zu Stockholm. Auch von ihm sind, wie von Gottfried, einzelne Kompositionen für Horn, teilweise mit Orchester, erhalten. (noch ungedruckt)

Von den beiden Brüdern 
6. Friedrich (geb. 1784) und 
7. Gottlob (geb. 1790) 

rühmt Schilling, dass sie, "obschon sie die Musik von jeher sehr lieb hatten, und auch ziemlich fertig Horn blasen, doch die Kunst nicht zu ihrem eigentlichen Berufe wählten".
Diese zweite Musikergeneration begründete die drei Stämme in den Personen von Gottfried II, Michael I und Andreas, aus denen wiederum Musiker hervorgingen.



I. Stamm: Gottfried II, verheiratet mit der Erzieherin und Klavierpädagogin Elisabeth, geb. Strottkamp (1793-1860)

Deren Kinder:

1. Christian Ludwig/Louis (1810-1834) ist der bekannteste Angehörige der Musikerfamilie Schuncke. Bereits im 10. Lebensjahre wurde er als Pianist bei seinen ersten Auftritten gefeiert. Mit Vater Gottfried und auch mit dem Bruder Ernst unternahm er Konzertreisen, u.a. nach Paris und Wien, die ihren Ruhm festigten. Nach Aufenthalten in Paris, wo er bei Anton Reicha Kontrapunkt studierte, und in Augsburg und Wien, kam er Ende 1833 nach Leipzig. Er wurde rasch Robert Schumanns engster Jugendfreund und in seinem Todesjahr 1834 zum Mitbegründer der "Neuen Zeitschrift für Musik", der ältesten noch heute bestehenden Musikzeitschrift. Als Dank für die Zueignung seiner "Grande Sonate" op. 3 ("dédiée à son ami R. Schumann"), seines bedeutendsten Klavierwerkes, widmete ihm Schumann wenige Monate später, im Mai 1834, seine hochvirtuose "Toccata" op. 7 ("dédiée à son ami Louis Schuncke"). "Das war ein Mensch, ein Künstler, ein Freund sonder Gleichen", schrieb Robert Schumann nach dem frühen Tode Ludwig Schunckes - er starb noch nicht 24jährig an Lungentuberkulose.

2. Michael Friedrich Ernst (1812-1876), kgl. Waldhornist und Kammermusiker in Stuttgart, war ebenfalls schon früh als Solist unterwegs. Er "erregte überall viel Aufsehen, das auf späteren Wanderungen, welche er mit dem Vater nach Frankfurt, Hannover, Hamburg etc. unternahm, nach den immer höheren Graden seiner Kunstfertigkeit, bis zur lautesten Bewunderung stieg" (Schilling). Zu seinen engsten Freunden zählte er Emilie und Elise List, die Töchter des Nationalökonomen Friedrich List und Jugendfreundinnen von Clara Wieck bzw. Schumann. Innerhalb der Familie Schuncke war Ernst nach Ludwig der einzige, mit dem sich Robert Schumann duzte. Das erst 1957 publizierte Bild Mendelssohns von Johann Peter Lyser, nach der Familienüberlieferung 1835 im Künstlerlokal "Kaffeebaum", der Versammlungsstätte der "Davidsbündler" in Leipzig, gezeichnet, soll Lyser Ernst Schuncke dort übergeben haben.

3. Gustav (1814-1849) wurde nach einem Theologiestudium in Tübingen Pfarrer in Hohenloheeschen Orten (Nordwürttemberg). Durch sein gutes Klavierspiel freundete er sich früh mit Musikern wie Friedrich Silcher an, wodurch auch sein Bruder Ludwig Silcher kennenlernte und ihn zur Mitarbeit an der "Neuen Zeitschrift für Musik" einladen konnte.

4. Elise Wilhelmine Emilie (1818-1888), Pianistin in Stuttgart, hielt sich lange auf Konzertreisen in England und Frankreich auf, wo sie auch als Erzieherin wirkte. Ihre Verbindung zu Clara Schumann ermöglichte es später ihrer Nichte Emma, gern gesehener Gast in deren Frankfurter Wohnung zu sein.

5. August Adolph (1820-1881) schrieb mit 19 Jahren eine virtuose "Fantasie pour le Violoncello avec Piano" über Themen von Bellinis "Norma", die einzige von ihm erhaltene Komposition. Über Bern und später Straßburg kam Adolph nach Genf, "wo er als "Professeur de Musique" am Konservatorium lehrte.

6. Johann Gottfried Hugo (1823-1909), kgl. Hofviolinist, Kammermusiker und Komponist in Stuttgart, zeichnete sich bereits mit 17 Jahren durch "ein eminentes musikalisches Talent" aus, so dass ihn Schilling schon 1840 in sein Musiklexikon aufnahm. Er hinterließ eine größere Anzahl von Kompositionen, die erst seit wenigen Jahren wieder zunehmend Interesse finden, darunter ein bemerkenswertes Konzert a-moll (1845) für Oboe und Orchester.

7. Sophie Marie (1827-1902) verbrachte ihr Berufsleben als Erzieherin und Klavierpädagogin in der Schweiz, in Frankreich und England. Als Wohlhabendste ihrer Generation finanzierte sie im wesentlichen den Tübinger Familienhaushalt und das Studium ihres Neffen Julius II. Sie war mit vielen Größen der Tübinger Universität befreundet.

8. Anna Auguste Julie (1831-1911) war in jungen Jahren Erzieherin und Klavierpädagogin in England und Frankreich, bis sie bereits mit Ende 20 zu ihren Eltern nach Tübingen gerufen wurde, um ihnen den Haushalt zu führen. Ihre Kochkünste waren im Familien- und Freundeskreis berühmt. Bis ins Alter gab sie noch Klavierunterricht sowie Stunden in Englisch und Französisch.

9. August Gottlieb Emil (1833-1887), Kaufmann, trat häufig als gefragter Waldhornist bei Veranstaltungen in und um Stuttgart sowie in Straßburg auf. Er pflegte viele Kontakte zu württembergischen und badischen Gelehrten, darunter den Nachkommen des Religionsphilosophen Friedrich Christoph Oetinger und, wie sein Bruder Ernst, zur Familie des Nationalökonomen Friedrich List.

10. Luise Caroline Henriette ("Jettchen", 1837-1919) verbrachte ihre jüngeren Jahre als Erzieherin und Klavierpädagogin in England und Frankreich. Später zog sie zu ihrem Bruder Hugo nach Stuttgart, wo sie als Klavierpädagogin und Komponistin bekannt war. Im 2. Weltkrieg ging fast der gesamte Nachlass verloren.

Durch Michael Friedrich Ernst, in zweiter Ehe verheiratet mit Marie, geb. Heuber, Tochter des fürstlich Hohenloheeschen "Hofcassiers", bleibt der Stamm Gottfried II als einziger in der musikalischen Tradition bis heute lebendig. Zunächst wurde in der vierten Generation Emma (1853-1946) Klavierpädagogin und Erzieherin in England und Stuttgart, ehe sie ihre musikalische Tätigkeit nach der Hochzeit mit dem württembergischen Bahnbaurat Adolph Oetinger in Crailsheim fortsetzte. Sie hat den überwiegenden Teil des Schunckeschen Künstlernachlasses mit Unterstützung der Großfamilie sorgsam verwaltet. Ihr Haus in Crailsheim glich einem Museum mit Empire- und Biedermeiermobiliar, etwa 20 kleineren Landschaftsgemälden, die von den Ahnen auf ihren weiten Reisen mitgebracht worden waren, Stiche bekannter Musiker und Schubladen voll alter Noten und Briefe. Als designierten Erbe hatte sie ihren Großneffen Michael II bestimmt. Doch mit 91 Jahren verlor sie alles bei einem unerwarteten Bombenangriff auf Crailsheim (23. Februar 1945). Ihre Brüder Julius II (1855-1922), Chemie-Professor in Ludwigshafen und Baden-Baden) und Wilhelm (1857-1933) Fabrikant in Dittersdorf und Dresden.

1875 Gründung der Dittersdorfer Filz- und Kratzentuchfabrik auf dem Gelände eines ehemaligen Eisenhammers
1900 - 1933 Leitung durch Wilhelm Schuncke, Generaldirektor
1933 - 1970 Leitung durch Dr. Ernst Schuncke
1972 VEB
1990 ff. Vergeblicher Versuch der Alteigner um Rückgabe des Produktionsbetriebes
2000 Sprengung


Wilhelm stellte sein Blasewitzer Haus „Fliederhof“ Sergej Rachmaninoff in den 20er Jahren zur Verfügung.
Haus Fliederhof
Julius und Wilhelm sind die Großväter von Gottfried Michael (geb. 1929). Er setzt das musikalische Erbe fort durch musikhistorische Veröffentlichungen und Ausstellungen, Organisation und Durchführung von Konzertveranstaltungen zusammen mit seiner Frau, der Mezzosopranistin Dorothea, geb. Czibulinski-Dressler, und den Aufbau des "Schuncke-Archivs" (seine Eltern waren Dr. jur. Ernst Schuncke, 1888-1970, und Frieda, geb. Schuncke, 1895-1988).


II. Stamm: Michael I (der Name seiner ersten Frau konnte bisher nicht ermittelt werden)

1. Carl I (Charles) (1801-1839) war neben Ludwig/Louis als Hofpianist der Königin von Frankreich, Ritter der Ehrenlegion und Salonkomponist in Paris der bekannteste Namensträger. Von ihm gibt es viele Kompositionen im virtuosen Salonstil der 1830er Jahre. Eine Skulptur des berühmten Bildhauers Jean-Pierre Dantan (1800-1869), genannt "Dantan Jeune", karikierte 1836 den bereits füllig gewordenen Charles, der seinem Leben drei Jahre später, nach einem Schlaganfall, ein Ende setzte, indem er sich aus dem Fenster stürzte. 

2. Auguste war Erzieherin und Klavierpädagogin in Stuttgart. Ihr Nachlass verbrannte ebenfalls 1945 bis auf einen Dankesbrief an den württembergischen König Wilhelm I., der sie 1829 mit einer Stellung am Katharinenstift betraute. Auguste ist Widmungsträgerin eines Rondo in e-moll/E-Dur von ihrem Cousin Ludwig Schuncke.

Michael war in zweiter Ehe ab etwa 1817 verheiratet mit Caroline, Tochter des Miniaturmalers Friedrich Deffner (1758-1793).


III. Stamm: Andreas, verheiratet mit Marie Sophie Wilhelmine, geb. Schwarzlose (1790-1854)

1. Julius I (1808-?) war zunächst kgl. Waldhornist in Berlin. Später trat er als Schauspieler an verschiedenen Orten in Deutschland auf, darunter Breslau, Königsberg, Hamburg, Meiningen u.a. Er war verheiratet mit der Tragödin Wilhelmine, geb. Senger, die als "Madame Schuncke" gefeiert wurde. Beider Tochter Clara (1837- nach 1890), beliebt als Charakterdarstellerin und junge Liebhaberin in Würzburg, München und am Deutschen Theater in Berlin (bis 1883), wurde auch nach ihrer Hochzeit mit dem Autor und Regisseur Dr. Hugo Müller als "Fräulein Clara" tituliert. 

2. Carl II (1811-1879), kgl. Waldhornist und Kammermusiker in Berlin, trat die Nachfolge der älteren Generation an; bei Schilling heißt es: "Unbedingt stellen wir diesen jungen Künstler an die Spitze aller jetzt lebenden Hornvirtuosen. Nie haben wir auch nur einen gehört, der mit mehr Wahrheit und in so ganz charakteristischer Schönheit sein Instrument behandelt." Durch seine Ehe mit Marie Susanne, geb. Fesca, verschwägerte er sich mit der Musikerfamilie gleichen Namens. 

3. Hermann (1825-1898) war ebenfalls als kgl. Waldhornist und Kammermusiker in Berlin tätig. Später zog er sich als Klavierpädagoge und Komponist nach Dresden zurück. Von ihm blieben zwei Streichquartette erhalten. 


Künstlerische Querverbindungen
Jede Generation der Familie Schuncke hatte und hat enge Kontakte zu - vorwiegend musikalischen - Zeitgenossen. Zu nennen wäre hier neben vielen anderen nur: 

18. Jahrhundert: 
die Hornisten Jean Lebrun, Johann Palsa, Giovanni Punto (= Johann Stich), Carl Türrschmiedt, der Komponist und bekannte Musikpädagoge Daniel Gottlob Türk.

19. Jahrhundert: 
Muzio Clementi, Anton Reicha, Johann Nepomuk Hummel, Johann Peter Pixis, Louis Spohr, Carl Maria von Weber, Peter von Lindpaintner, Hector Berlioz, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert und Clara Schumann, Friedrich Wieck, Frederic Chopin, Franz Liszt, Henri Vieuxtemps und die Instrumentenbauer- und Musikerfamilie Klinckerfuß (bis Ende des 20. Jahrhunderts), vor allem Apollo und Johanna, Margarete und Leonore.

20. Jahrhundert: 
Sergej Rachmaninoff, Benjamin Britten, Kurt Hessenberg, Joseph Haas, Karl Michael Komma, zahlreiche in- und ausländische Musiker und Musikwissenschaftler, unter ihnen auch Dietrich Fischer-Dieskau, der dieser Ausstellung die Ehre seiner Schirmherrschaft gibt. Dazu Maler wie Ludwig Meidner oder Thomas Grochowiok oder Schriftsteller wie Ludwig Finckh u. a.